«Hier habe ich meinen Platz gefunden»

02.12.2025

Hevin stammt aus Syrien, ist wegen des Bürgerkriegs als Minderjährige ganz allein aus ihrer Heimat geflüchtet und hat wohl schon deutlich mehr erlebt als andere in ihrem Alter. Seit fast zehn Jahren ist sie nun in der Schweiz und übernimmt mit 27 Jahren eine verantwortungsvolle Aufgabe in der Gemeinde Reinach. Ihr Weg ist geprägt von Willen, Mut und Zuversicht – und ist ein starkes Zeichen für Integration.

In einem kleinen Ort im Nord-Westen Syriens geboren, ist sie mit ihrer kurdischen Familie bald ins arabische Aleppo gezogen, wo sie aufgewachsen ist, die Schulen besucht und das Gymnasium abgeschlossen hat. Mit 17 Jahren flüchtete sie nach Basel, wo sie bei ihrer Tante unterkam. Die Gedanken an damals, als sie ihre Heimat verlassen hatte und in die Schweiz gereist war, schnüren ihr noch heute die Kehle zu und sie unterdrückt spürbar, wie sehr es sie noch immer bewegt.

Hevin, wie war das für dich damals, von zu Hause wegzugehen?
Es war sehr schlimm für mich, aber da Krieg war, hatte man kaum Zeit darüber nachzudenken. Syrien war meine Heimat, ich hatte da meine Familie und die gewohnte Umgebung. Kurz nachdem wir unser Haus in Aleppo verlassen und alles zurückgelassen hatten, sind genau in unserer Strasse Bomben gefallen, von daher war es sicher die richtige Entscheidung wegzugehen.

Wie war der Anfang für dich hier?
Am Anfang war alles fremd: das Land, die Sprache, die Menschen. Auch meine Tante, bei der ich unterkam, kannte ich kaum. Leider verstarb meine Tante schon bald an einer schweren Krankheit. Der Start hier war für mich besonders schwierig – ohne vertraute Bezugspersonen, ohne Bekannte, ohne Netzwerk.

Wie hast du unsere Sprache gelernt?
Vor zehn Jahren konnte ich kein Wort Deutsch. Damals habe ich ein Lernbuch geschenkt bekommen und von A bis Z durchgearbeitet. Es waren erste Schritte – vieles konnte ich mir noch nicht merken, denn Deutsch ist eine ganz andere Sprache. Deshalb schaute ich zusätzlich YouTube-Videos, um meine Aussprache zu verbessern und neue Wörter zu lernen. In Aleppo hatte ich neben Arabisch als Amtssprache nur Englisch und Französisch gelernt, dazu kam meine Muttersprache Kurdisch – all das prägte anfangs auch meine Aussprache.

Und danach, als du die Sprache schon ein bisschen konntest?
Ich bekam einen Brief vom Kanton für ein Integrationsprogramm und wurde zu einem Gespräch eingeladen, aber weil ich noch so wenig Deutsch konnte, habe ich mich sehr geschämt. Doch ich wollte diese 2 ½-jährige Schule unbedingt besuchen. Und obwohl die Kommunikation sehr schwierig war, haben sie mich aufgenommen. Dort konnte ich dann vor allem die Sprache lernen, aber wir hatten auch andere Fächer. Zu Beginn war ich wirklich die einzige, die so schlecht Deutsch konnte, zuletzt war ich dann aber sprachlich und von der Schulleistung her sogar die Beste!

Was hast du nach dieser Schule gemacht?
Während der Corona-Zeit ist dann leider beruflich und schulisch alles für mich stillgestanden, das war für mich sehr schwierig. In der Zeit bekam ich unsere Tochter. Mittlerweile lebte ich schon seit einiger Zeit mit meinem Lebenspartner zusammen. Eine eigene Familie zu haben hat mir seither immer viel Kraft gegeben. Nach der Geburt ging ich gleich zur Berufsberatung und habe mich anschliessend für unzählig viele KV-Lehrstellen beworben. Ich konnte mich aber kein einziges Mal vorstellen, es gab immer Vorurteile gegen mich, das hat mich wirklich traurig gemacht. Sie meinten, ich sei noch zu kurz in der Schweiz und eine Berufsausbildung werde schwierig für mich. Ich war damals schon vier Jahre hier. Daraufhin habe ich mich an die Integrationsfachstelle des Kantons gewendet und schliesslich wurde mir empfohlen, dass ich den Sekundarschulabschluss auch noch in der Schweiz machen sollte. Das war nur nochmals ein Jahr und so habe ich das gemacht. Mein Zwischenzeugnis im ersten Semester war sehr gut, so dass ich mich bei den Verwaltungen einer Gemeinde sowie von Basel-Stadt und Basel-Landschaft auf Lehrstellen beworben hatte und gleich zu drei Vorstellungsgesprächen eingeladen wurde. Ich habe mich dann für die Gemeinde entschieden, weil ich von ihnen zuerst eine Zusage erhalten hatte. Auf meinem Weg bin ich häufig auf Vorurteile, abwertende Kommentare und Ausgrenzung gestossen. Als junge Frau mit Migrationshintergrund musste ich mir meinen Platz hart erarbeiten – sprachlich, schulisch und gesellschaftlich.

Und wie ging es dir dann bei deiner Ausbildung?
Ich hätte eigentlich studieren wollen, habe mich dann aber für eine Stufe darunter entschieden, weil ich einfach aus finanziellen Gründen unbedingt einen Berufsabschluss schaffen wollte und das Studium anschliessend immer noch machen kann. Finanziell hat mein Mann immer für alles gesorgt. Leider erfuhr ich beim ersten Arbeitgeber in der Berufsausbildung eine systematische Benachteiligung, wurde oft übergangen und fühlte mich nicht mehr wohl. So habe ich mich in Reinach beworben, um meine restliche Ausbildung in dieser Gemeinde zu absolvieren.

Und hast du dabei einen Unterschied erlebt?
Oh ja, es gibt grosse Unterschiede. Die Kultur, der Führungsstil, die Selbstständigkeit als Lernende, das war alles komplett anders. Das Gemeindepersonal ganz allgemein hat mich gut aufgenommen. Ich habe mich von Anfang an wohl gefühlt und fühlte mich willkommen. Alle waren sehr hilfsbereit, haben mich ernst genommen und unterstützt. Und ich habe es sehr wertgeschätzt, dass sie mich und meine Geschichte mit Respekt angenommen haben. In Reinach konnte ich Familie und Ausbildung besser vereinen, mehr Unterstützung erhalten – und vor allem meine beruflichen Ziele weiterverfolgen, was jetzt nach der Berufsausbildung auch der Fall ist.

Du hattest ja einiges in deinem Alltag unter einen Hut bringen müssen.
Ja, ich hatte drei Tage gearbeitet, zwei Tage Schule, dazu ein Kind im Vorschulalter, ein Haushalt, da blieb nicht mehr viel Zeit für anderes. Auch wenn wir uns gegenseitig unterstützen und das Kind in eine Kita geben konnten.

Und wie geht es jetzt weiter?
Seit August bin ich nun in meiner neuen Positition in die zentralen Prozesse der Gemeindeführung eingebunden und arbeite zu 60% als Assistentin des Gemeinderats und des Geschäftsleiters Allgemeine Verwaltung sowie der Leiterin Recht und Politik. Das ist natürlich viel mehr Verantwortung und Druck als früher. Ich kann weiterhin viel Neues lernen, auch wenn ich schon auf der Gemeinde ausgebildet wurde. Ich habe jetzt mehr zu tun mit strategischer Planung, operativen, rechtlichen und politischen Prozessen. Sehr wichtig ist für mich, dass ich in dieser Funktion mitwirken und mitgestalten darf, das macht mir extrem Freude. Die andern beiden Tage studiere ich berufsbegleitend Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Nordwestschweiz und werde dann in vier Jahren meinen Abschluss machen können.

Welche Wünsche und Träume hast du für die Zukunft?
Mein erstes Ziel ist, mein Studium erfolgreich abzuschliessen. Ich möchte das Gelernte später aktiv in meiner Arbeit einsetzen und mehr Verantwortung übernehmen. Mein langfristiges Ziel ist es, eines Tages eine Gemeinde selbst zu führen und damit einen positiven Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. In der Schweiz habe ich längst meinen Platz gefunden und fühle mich verwurzelt. Ich möchte weiterhin lernen, wachsen und meine Möglichkeiten voll ausschöpfen, um sowohl beruflich als auch persönlich etwas zu bewegen. Jetzt bin ich erst 27 Jahre alt – und glücklich mit meinem Leben so, wie es ist.





Hevin hat viel Schwieriges erlebt, aber sie hat dank Mut, Willen und Zufriedenheit einen guten Weg für sich gefunden. Foto: Gemeinde Reinach

Hevin
 

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